Als Arthroskopie (syn. Gelenkspiegelung) (aus dem Griechischen: arthros = Gelenk und skopein = schauen) wird eine minimal-invasive diagnostische und/oder therapeutische Behandlung von Gelenken über kleine Inzisionen (Arthrotomien) unter Einsatz eines Endoskops (auch: Arthroskop) bezeichnet. Außerhalb von Gelenken verwendet man den allgemeinen Begriff Endoskopie (aus dem Griechischen: éndon = innen und skopein = schauen). Die häufigste Lokalisation angewendeter arthroskopischer Techniken sind die großen Gelenke (Knie-, Schulter-, Hüft-, Ellenbogen- und oberes Sprunggelenk), jedoch findet die Arthroskopie aufgrund des technischen Fortschritts (kleinere Arthroskope und Instrumente) auch Einzug in kleinere Gelenke (z.B. Handgelenk und unteres Sprunggelenk).
Ein Vorteil der Arthroskopie besteht darin, dass das Gelenk nicht komplett eröffnet werden muss um Strukturen einzusehen bzw. zu behandeln. Durch die minimal-invasiven Zugänge wird gewebeschonend gearbeitet und Zugangsmorbiditäten (z.B. Ablösen von Sehnen/Muskeln) können vermieden werden. Hierdurch wurde in mehreren Vergleichs-Studien eine reduzierte postoperative Schmerzsymptomatik dokumentiert. Zusätzlich wird durch die kleinen Stichinzisionen ein besseres kosmetisches Ergebnis erzielt. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit Gelenkstrukturen während der Gelenkbewegung direkt dynamisch zu beurteilen (z.B. Impingement = Einklemmung). Durch die geringere Wundfläche ist auch das Infektionsrisiko im Vergleich zu offenen Eingriffen reduziert (siehe Absatz “Komplikationen”).
In Deutschland werden aktuell geschätzt 400.000 arthroskopische Eingriffe am Kniegelenk durchgeführt.
Im deutschsprachigen Raum sind die arthroskopisch tätigen Ärzten in verschiedenen Vereinigungen organisiert (AGA, BVASK, DGOU). Zudem wird die Arthroskopie auch durch topografische Fachgesellschaften gefördert (z.B. DVSE (Deutsche Gesellschaft ffür Schulter- und Ellenbogenchirurgie e.V.), D.A.F.(Deutsche Assoziation für Fuß und Sprunggelenk e.V.), GFFC (Gesellschaft für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie e.V.), DKG (Deutsche Kniegesellschaft e.V.)).
Mit über 5.200 Mitgliedern (Stand 09-2019) ist die „AGA- Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie“ die größte europäische Fachgesellschaft auf dem Gebiet der Arthroskopie.
Der Däne Severin Nordentoft (1866–1922) gilt als der Begründer der Arthroskopie und hat den Begriff “Arthroskopie” (“arthroscopia genu“) erstmals verwendet. [1] Er beschrieb 1912 auf dem Deutschen Chirurgen Kongress in Berlin erstmals die Technik der Kniearthroskopie mittels Trokar-Endoskop, einem modifizierten Zystoskop. Jedoch ist bis heute unklar, ob er die beschriebene Technik nur an Kadaverkniegelenken oder auch an Patienten angewendet hat. [2]
Einige Jahre später führte Kenji Takagi (1888-1963) ebenso Arthroskopien an Kadaverkniegelenken durch, hierbei entwickelte er zunehmend kleinere Instrumente auf Basis von Zystoskopen. Er fertigte in den 30er Jahren die ersten intraartikulären Farbfotos an und publizierte 1938 sein Werk “Das Arthroskop”.
Nahezu zeitgleich publizierte der Chirurg Eugen Bircher (1882 – 1956) 1921 die erste klinische Publikation mit 19 Fällen aus dem Schweizer Kantonsspital Aarau . Er führte ab 1919 diagnostische Arthroskopien an Lebenden durch. Dr. Bircher verwendete hierbei Stickstoff oder Sauerstoff als Arthroskopie-Medium. Er führte die Arthroskopie zur Diagnose von Meniskusschäden durch, welche er anschliessend offen chirurgisch versorgte. Insgesamt führte er bis 1930 etwa 60 Arthroskopien durch. 1930 gab er die Technik auf und verwendete schliesslich die Doppelkontrast-Arthrographie zur Diagnosestellung von Meniskusläsionen. [3]
Masaki Watanabe (1911-1995) ein Schüler von Kenji Takagi entwickelte die Arthroskope weiter und führte bis 1957 etwa 800 arthroskopische Eingriffe des Kniegelenkes durch. [4]
Robert W. Jackson (1932-2010) aus Toronto erlernte diese Techniken in den 60er Jahren bei Aufenthalten in Japan von Masaki Watanabe und führte sie in Nordamerika ein. Durch den schnellen technischen Fortschritt (Kaltlicht, Kameraeinheit, flexible Fiberoptik, Wasserpumpen, etc.) erlebte die Arthroskopie in den letzten Dekaden eine rasante Entwicklung.
Um eine arthroskopische Operation durchführen zu können wird folgende Ausstattung benötigt:
- Kameraeinheit mit Kamerakopf und Optik (meist 30°, ggf. 70°)
- Monitor (Visualisierung)
- Kaltlichtquelle (Beleuchtung im Gelenk)
- Pumpeinheit (Füllung des Gelenkes mit Wasser unter definiertem Druck)
- ggf. Shavereinheit (Anschluß von oszillierenden Saug-Fräsen)
- ggf. Hochfrequenz-Gerät (Elektrokauter mono- bzw. bipolar)
Arthroskopieturm mit: Monitor, kombinierter Kaltlichtquelle mit Kameraeinheit, Shaversystem, Drucker, Pumpeinheit (von oben nach unten). (Bildmaterial: B. Schulz)
“Arthroskop”: Kamerakopf mit 30° Optik im Trokar. Der Wasserzufluss erfolgt von oben (roter Anschluss). Rechts daneben befindet sich der Anschluss des Kaltlichtkabels (grau). Mit dem Stab am unteren Bildrand (Obturator) wird der Trokar ins Gelenk eingebracht und erst dann durch das Optik/Kamera System ersetzt. (Bildmaterial: B. Schulz)
Zusätzlich werden arthroskopische Arbeitsinstrumente benötigt, die sich durch ihre Größe und Länge von den offenen chirurgischen Instrumenten unterscheiden (z.B. Tasthaken mit Skalierung, arthroskopische Schere, arthroskopische Fasszangen, Knotenschieber uvm.). Um einen zu hohen Wasserdruckverlust im Gelenk über die Portale zu vermeiden, können zusätzlich die Portale mit Kanülen (rigide oder flexibel) gesichert werden.
Allgemeines Vorgehen
Das Arthroskop wird über ein standardisiertes Portal mittels Stichinzision in das Gelenk eingebracht. Bei kleinen Gelenken ist ein Auffüllen des Gelenkes mit Flüssigkeit vor dem Eingehen mit dem Trokar nötig, um die Gelenkkapsel vom Knorpel abzuheben und das Eingehen zu erleichtern. Zusätzlich wird ein Arbeitsportal zum Einführen der Instrumente unter Sicht angelegt. Die diagnostische Arthroskopie beinhaltet einen kompletten Rundgang durch das Gelenk, wobei die Gelenkstrukturen visuell, funktionell und palpatorisch (Tasthaken) überprüft werden. Zur Dokumentation werden die wichtigsten Strukturen standardisiert als Foto dokumentiert.
Kniegelenksarthroskopie
Die Arthroskopie des Kniegelenkes ist das am weitesten verbreitete arthroskopische Verfahren und hat bei vielen Indikationen die klassische Arthrotomie, d.h. Eröffung des Gelenkes, abgelöst. Heutzutage wird die Kniegelenksarthroskopie standardmäßig zur Entfernung freier Gelenkkörper, Kniegelenksmobilisation („Arthrolyse“), Knorpeldiagnostik bzw. teilweise auch –chirurgie, Meniskuschirurgie und Kreuzbandrekonstruktion verwendet. In den häufigsten Fällen werden mindestens zwei Portale (beidseits der Kniescheibensehne=Patellarsehne) gesetzt und diese als Kamera- bzw. Arbeitsportal verwendet. Entsprechend der Indikation können zusätzlich nötige Portale verwendet werden.
Arthroskopisches Bild einer Tasthakenprobe am Aussenmeniskus eines linken Kniegelenkes. Im Hintergrund schräg verlaufend ist die Sehne des Muskulus popliteus zu erkennen, im oberen Bild die Gelenkfläche des Oberschenkelknochens. (Bildmaterial: PD Dr. S. Braun)
Schulterarthroskopie
Im Bereich der Schulter bietet die Arthroskopie die Möglichkeit eine Vielzahl von Pathologien zu behandeln. Neben dem Schultergelenk (gleno-humerales Gelenk) können auch das Schultereckgelenk (acromio-claviculares Gelenk) sowie der Schleimbeutel unter dem Schulterdach (Bursa subacromialis) eingesehen und behandelt werden. Die häufigsten arthroskopischen Eingriffe am Schultergelenk umfassen die Erweiterung des Schulterdachs (subacromiale Dekompression), Schultermobilisation (Arthrolyse), Schultereckgelenks-Resektion, Kalkentfernung, Rekonstruktion oder Versetzung der langen Bizepssehne, Schulterstabilisierung und Rotatorenmanschettenrekonstruktion. Insbesondere im letzten Jahrzehnt hat die arthroskopische Schulterchirurgie erheblich an Bedeutung gewonnen, so dass heutzutage auch früher rein offene Verfahren rein arthroskopisch oder arthroskopisch unterstützt durchgeführt werden können (z.B. Stabilisierung des Schultereckgelenkes). Standardmäßig erfolgt die diagnostische Schulterarthroskopie über ein hinteres Standardportal, je nach Interventionsart werden als Arbeitsportale zusätzliche Zugänge vorne und seitlich an der Schulter gesetzt.
Arthroskopische Sicht auf den Schleimbeutel unter dem Schulterdach (Bursa subacromialis) einer linken Schulter. Mit der Nadel links wird ein vorliegendes Kalkdepot in der Supraspinatussehne (Tendinosis calcarea) aufgesucht und eröffnet. Der Kalk entleert sich geysir-artig aus der Sehne. (Bildmaterial: Dr. S. Buchmann)
Hüftarthroskopie
Die Hüftarthroskopie wurde initial als Diagnostikum bei unerklärbaren Hüftschmerzen entwickelt. Heutzutage wird sie jedoch bereits standardisiert zur Therapie von Veränderungen des Hüftgelenks verwendet. Die häufigsten arthroskopischen Eingriffe im Bereich der Hüfte umfassen die Impingementchirurgie (Schenkelhalstrimmen, Pfannrandplastik, Labrumchirurgie), Entfernung freier Gelenkkörper, Ligamentum teres Verletzungen sowie Eingriffe außerhalb des eigentlichen Hüftgelenkes (z.B. Psoas release, Tractus release).
Arthroskopisches Bild einer rechten Hüfte. Mit dem Tasthaken wird eine Lückenbildung zwischen Kapsel und Gelenklippe (kapsulo-labrale Dissoziation) palpiert. (Bildmaterial: PD Dr. H. Gollwitzer)
Ellenbogenarthroskopie
Die Ellenbogenarthroskopie hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Neben dem therapeutischen Aspekt spielt am Ellenbogen auch die dynamische arthroskopische Untersuchung eine wichtige Rolle, um möglicherweise unerkannte Instabilitäten (z.B. postero-lateral) zu erkennen und adäquat zu therapieren. Das Spektrum der gängigen arthroskopischen Eingriffe umfasst die Entfernung freier Gelenkkörper, die Gelenkmobilisierung (Arthrolyse), Entfernung schmerzhafter Schleimhautfalten (Plica) und die Knorpeldiagnostik mit ggf. Knorpeltherapie.
Arthroskopisches Bild der Stabilitätsprüfung in einem linken Ellenbogengelenk mittels Wechselstab. Rechts oben ist der aussenseitige Oberarmknochen (Capitellum humeri) zusehen, rechts unten das Speichenköpfchen (Radiusköpfchen). (Bildmaterial: PD Dr. A. Lenich)
Sprunggelenksarthroskopie
Die Arthroskopie des vorderen Gelenkkompartimentes des oberen Sprunggelenkes ist seit vielen Jahren verbreitet und es können hier vielzählige Eingriffe durchgeführt werden: Entfernung freier Gelenkkörper, die Gelenkmobilisierung (Arthrolyse), Entfernung schmerzhafter Narben (Meniskoid), Erweiterung des vorderen Gelenkraumes bei Soccer’s Ankle (Knochenanbauten an der Schienbeinvorderkante, die zu Bewegungseinschränkungen führen) und die Knorpeldiagnostik mit ggf. Knorpeltherapie. Zusätzlich findet nun die Arthroskopie auch Einzug in die Rückfusschirurgie (z.B. Resektion schmerzhaftes Os trigonum) sowie in die Chirurgie des unteren Sprunggelenks.
Arthroskopisches Bild eines Soccer’s Ankle (knöcherne Ausziehung der vorderen oberen Gelenkkante des oberen Sprunggelenkes) linkes Sprunggelenk. Mit dem Shaverinstrumentarium (oszillierende Saugfräse – rechts im Bild) wird diese Ausziehung abgetragen um eine freie Beweglichkeit des oberen Sprunggelenks zu ermöglichen. (Bildmaterial: Dr. S. Buchmann)
Komplikationen
Neben Wundheilungsstörungen und einem verbleibenden Gelenkerguss können selten auch Gelenkinfekte auftreten. Die Infektionswahrscheinlichkeit nach einer Kniegelenksarthroskopie ist im Vergleich zum offenen Vorgehen deutlich geringer und wird mit etwa 0,13% angegeben. Zusätzlich können bei unsachgemäßer Handhabung der Instrumente im Rahmen der Arthroskopie Knorpelverletzungen resultieren.
Nach der Arthroskopie der unteren Extremität besteht wie auch bei den offenen Eingriffen ein erhöhtes Risiko für eine Thromboseentwicklung. Bei der Kniegelenksarthroskopie liegt das Risiko einer symptomatischen Venenthrombose bei 0,25 % und für eine symptomatische Lungenembolie bei 0,17 %. In einer großen retrospektiven Analyse konnten folgende Risikofaktoren bestimmt werden: weibliches Geschlecht, Kontrazeptiva, Alter >50 Jahre, vorangegangene Operation im Monat vor dem Eingriff, Operationszeit >1,5 h. [6, 7]
Kontakt:
Eva Maria Pinz
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Literatur
• S1-Leitlinie Infektionsprophylaxe bei arthroskopischen Operationen. In: AWMF online (Stand 2012) www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/029-004.html
• Checkliste Orthopädie, AB Imhoff, RD Linke, R. Baumgartner, 3. Auflage 2014, Thieme Verlag
• Stellungnahme der Bundesärztekammer: Arthroskopie am Kniegelenk; Seite 8; Stand: 23. Dezember 2011
Einzelnachweise
[1] S. Nordentoft - „Ueber Endoskopie geschlossener Cavitäten mittels meines Trokart-Endoskopes” Verh Dtsch Ges Chir (1912), pp. 78–81
[2] R. W. Jackson – „Memories of Early Days of Arthroscopy“ – The J of Arth a Rel Sur 1987
[3] C. W. Kieser and R. W. Jackson – „Severin Nordentoft: The First Arthroscopist“ -The J of Arth a Rel Sur 2001
[4] C. W. Kieser and R. W. Jackson – „Eugen Bircher – The First Knee Surgeon to use Diagnostic Arthroscopy“ - The J of Arth a Rel Sur 2003
[5] Matsen FA 3rd, Papadonikolakis A.: Published evidence demonstrating the causation of glenohumeral chondrolysis by postoperative infusion of local anesthetic via a pain pump. J Bone Joint Surg Am. 2013 Jun 19;95(12):1126-34
[6] G. B. Maletis, M. C. S. Inacio, S. Reynolds, T. T. Funashashi: Indicence of symptomatic venous thromboembolism after elective knee arthroscopy. The Journal of Bone & Joint Surgery, 18. April 2012, Band 94-Am, Heft 8, Seiten 714 - 720
[7] Christopher T. Martin, Andrew J. Pugely, Yubo Gao, Brian R. Wolf: Risk factors for thirty-day morbidity and mortality following knee arthroscopy The Journal of Bone & Joint Surgery 2013, Band 95-Am, Ausgabe 14 Juli 2013, Seite 1306. doi: 10.2106/JBJS.L.01440